Die Göttin

Polyamorie? Demisexualität? Bisexualität? Warum ich keine Lust mehr auf Labels habe

30. Mai 2025

Frei lieben, tief fühlen, ganz ich sein – ohne Erklärungen, ohne Etiketten.

Mein ganzes Leben lang habe ich versucht herauszufinden, in welche Schublade ich passe. Ich habe probiert. Mich gequetscht. Mich hineingedrückt in Kategorien, die sich nie wie Ich angefühlt haben. Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass ich gar nicht in eine Schublade passen möchte. Dass ich selbst eine eigene Schublade bin. Eine, die sich verändern darf. Die wachsen darf. Die sich jeden Tag neu entscheiden kann.


Ich wurde gefragt, woher ich wusste, dass ich polyamor leben kann. Schon allein das Wort hat Bauchschmerzen in mir ausgelöst. Nicht, weil es nicht wahr wäre – oder weil ich mich dafür schämen würde. Sondern weil hinter jedem Label eine Definition steht, die selten wirklich zu hundert Prozent auf einen selbst passt. Laut Internet bedeutet Polyamorie: eine Form der Partnerschaft, bei der eine Person gleichzeitig mehrere Liebende hat und mit allen eine Beziehung pflegt.


An sich? Trifft das ziemlich gut auf mein Leben zu. Aber die gesellschaftliche Bedeutung dieses Begriffs fühlt sich für mich falsch an. Denn ja – ich liebe Menschen auf verschiedene Arten. Ja, ich kann mehrere Menschen gleichzeitig lieben. Und ja, ich pflege mit allen eine Art von Beziehung. Aber sobald ich sagen würde: "Ich bin polyamor", entsteht bei vielen Menschen sofort das Bild: "Ah, sie hat also mehrere feste Partnerschaften.“ Und das wäre einfach nicht richtig.


Ich sehne mich nach einer Basispartnerschaft. Nach einem Menschen, der fest an meiner Seite ist. Was darüber hinaus entsteht, ist für mich super individuell – und ganz bewusst die freie Entscheidung dieses Basispaares. Zu wissen, dass jede*r seine eigenen Regeln für Verbindung und Beziehung schaffen darf, hat mir eine unglaubliche Ruhe geschenkt. Nicht länger zu versuchen, zwischenmenschliche Dynamiken in Schubladen zu pressen, nur um sie irgendwie fürs Außen benennen zu können – das ist eine echte Befreiung. Denn am Ende zählt nur: Sind alle Beteiligten glücklich? Sind alle einverstanden? Wie das dann aussieht – oder wie die Gesellschaft es nennen würde – ganz ehrlich: Fuck it.


Mich selbst jeden Tag neu zu entdecken ist ein unfassbar tiefer Prozess. Ich habe in so kurzer Zeit so viel Neues über mich gelernt. Dinge, bei denen ich dachte, ich würde mich längst kennen. Ich habe mich oft selbst überrascht. Und auch enttäuscht. 


Ich habe lange geglaubt, dass Sex auch einfach nur Sex sein kann. Reine Lustbefriedigung. Ein körperlicher Trieb, den man lebt. Nach meiner Trennung habe ich schnell gemerkt, wie sehr ich emotionale Bindung brauche – wie zentral sie für mich ist. Was ich damals noch nicht verstanden habe: Diese Erkenntnis verändert auch meine Sexualität. Ich finde viele Menschen optisch attraktiv. Aber emotional? Fühlt sich das oft ganz anders an. Ja, ich hatte auch mit diesen Menschen Sex. Und ja, dieser Sex war meistens … echt schlecht. Irgendwann konnte ich es nicht mehr auf „schlechte Chemie im Bett“ schieben. Ich musste ehrlich hinsehen.


Und erkennen: Für wirkliche sexuelle Anziehung brauche ich emotionale Tiefe. Ich spüre sexuelles Verlangen erst, wenn ich mich auf Seelenebene verbunden fühle. Und das hat einen Namen: Demisexualität. (Demisexuelle Menschen empfinden sexuelle Anziehung nur bei tiefgehender emotionaler Verbindung.)


Diese Erkenntnis war nicht leicht. Denn sie bedeutete, mir selbst einzugestehen, wie oft ich über mein Gefühl hinweggegangen bin. Wie oft ich „Ja“ gesagt habe, obwohl mein Körper ein klares „Nein“ gefühlt hat. Wie oft ich versucht habe, mir einzureden: "Es ist doch nur Sex.“ Aber das ist für mich Bullshit. Sex ist für mich energetisches Verschmelzen auf körperlicher Ebene. Wenn die Seelenverbindung bereits da ist – und dann über den Körper noch vertieft wird – entsteht Magie. Und dann, genau dann, ist Sex für mich so emotional, so tief, dass er mit nichts anderem vergleichbar ist. Das ist eine Erfahrung, die ich niemals mehr missen möchte.


Auch als Jugendliche habe ich darüber nachgedacht, welche sexuelle Orientierung „zu mir passt“. Ja, ich habe mit Freundinnen geknutscht – aber das war gesellschaftlich ja irgendwie „okay“, auch für heterosexuelle Frauen. Ich habe es damals nicht hinterfragt. Bis eine Freundin mir sagte, sie sei bisexuell. Und da fiel bei mir der Groschen: Ja. Ich auch. Auch wenn ich mehr Männerbeziehungen hatte. Auch wenn ich noch keine Partnerschaft mit einer Frau geführt habe. Trotzdem würde ich mich als bisexuell bezeichnen. 


Aber - am Ende bleibt: Es gibt unzählige Labels. Unzählige Schubladen. Aber um mich selbst auch nur annähernd für das Außen beschreiben zu können, müsste ich mich in mehrere Kategorien gleichzeitig pressen. Mehrere Etiketten tragen.


Und das möchte ich nicht mehr. Ich will kein Label. Ich will in keine Schublade. Ich habe meine eigene.


Eine, in der Ich Platz habe. Mein Ich, das sich verändert. Das wächst. Das neue Seiten an sich entdeckt. Das sich immer wieder neu erfährt.


Ob polyamor oder nicht.

Ob bisexuell oder hetero.

Ob demisexuell oder etwas ganz anderes.


Ganz ehrlich: Wer bestimmt denn, ob ich irgendeiner Definition wirklich entspreche?


Ich bin ich. Und das ist das einzige Label, das ich tragen will.

Wer hier schreibt?

Ich – Ronja Amelie.

Mama, Mentorin, Freigeist. Ich schreibe hier ehrlich, direkt und mitten aus dem Leben. Über das Frau-Sein, das Mutter-Sein, das Ich-Sein – und über all die verrückten, wundervollen und manchmal schmerzhaften Zwischenräume dazwischen.

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